23. Oktober 2023

Reicht ein siebenstelliges Gehalt als Beweis für gutes Leadership in Anwaltskanzleien?

Schaut man sich an, was in den letzten drei Jahren auf dem amerikanischen Anwaltsmarkt bei den grossen Kanzleien passiert ist, lautet die Antwort: Nein. Gewinne zu erwirtschaften ist sicherlich ein klarer KPI für finanziellen Erfolg. Aber Leadership ist nicht gleichbedeutend mit profitabler Unternehmensführung. Solange Menschen neben Technologie und KI für das Ergebnis wichtig sind, stellt sich die Frage, was es braucht, um Mitarbeitende effektiv auf ein gemeinsames Ziel auszurichten.

Wie amerikanische Kanzleien mit Krisen umgehen
Urteilen Sie selbst: Was mit Associates in amerikanischen Kanzleien während und nach der Pandemie geschah, kann vereinfacht wie folgt zusammengefasst werden: Am Anfang der Pandemie wurde die Anstellung von neuen Mitarbeitenden aufgeschoben, bestehenden Mitarbeitenden wurde Zwangsurlaub verordnet, es folgten Kürzungen der Löhne bei Angestellten und schliesslich wurden Kündigungen ausgesprochen. Mit zunehmender Erholung der Wirtschaft fehlten dann plötzlich die Mitarbeitenden. Deshalb erfolgten nach einem Jahr die Wieder- bzw. Neuanstellung, nun aber zu noch höheren Löhnen und zusätzlichen Bonuszahlungen. Und was kann aktuell mit der abkühlenden Konjunktur wieder beobachtet werden? Sie ahnen es: Anstellungen werden wieder aufgeschoben und Kündigungen ausgesprochen.

Was kann bei solchen Rahmenbedingungen realistischerweise von betroffenen Mitarbeitenden erwartet werden? Loyalität wohl kaum. Man hat diese vielmehr zu einer Söldner-Mentalität erzogen. Dadurch werden sie ihre Leistung – nur noch – an der erwarteten Entschädigung ausrichten und den Arbeitgeber entsprechend aussuchen und bei Bedarf wechseln. Damit werden auch die entsprechenden Mitarbeitenden angesprochen und angestellt.

Leadership vs. Operations
Was vorgenannt beschrieben wurde, ist kurzfristiges Kostenmanagement. Adressiert werden dabei vor allem die teuren Personalkosten und wie man sie steuern kann. Es geht also um das Thema Operations. Gleichzeitig betrifft dies aber die wichtigste Ressource einer Anwaltskanzlei: die Ressource Mensch. Diese ist – und wird es mit aufkommender KI allenfalls gar noch vermehrt werden – im Kontakt mit den Kunden ausschlaggebend. Aber wie führt man Mitarbeitende, begeistert und inspiriert man sie, damit sie die gewünschten Höchstleistungen fürs Unternehmen erbringen? Leadership muss daher mehr sein als die blosse Optimierung im operativen Bereich mit dem Ziel der Gewinnmaximierung.

Aktuelle Leadership-Themen im Rechtsmarkt
Es stellt sich die Frage, mit welchen aktuellen Herausforderungen sich Leader im Rechtsbereich auseinandersetzen sollten. Es ist unbestritten, dass Kanzleien und Rechtsabteilungen nach betriebswirtschaftlichen Ansätzen geführt werden müssen, um die Profitabilität bzw. die Kosteneffizienz zu gewährleisten. Dass die angebotenen Rechtsleistungen und Rechtsauskünfte korrekt sein und auf dem neuesten Stand der Wissenschaft erbracht werden müssen, versteht sich von selbst.

1. New Work: Es klingt einfach zu perfekt (#Workation): Tagsüber in der Hängematte liegen, den Laptop offen auf dem Schoss, E-Mails beantworten und dabei auf das weite Meer schauen, abends noch schnell schwimmen gehen, um sich von der Arbeit zu erholen (#Work-Life-Balance). Und das nicht etwa nur punktuell während der wohlverdienten Ferien, sondern permanent am neu gewählten Arbeitsplatz. Was ist geschehen? Die alte Forderung nach Teilzeitarbeit wird heute gleich mehrfach weiter ausgebaut: Man sucht heute einen Arbeitsplatz, wo man – zumindest teilweise – von zu Hause arbeiten kann (#WorkFromHome), wo das Rahmenprogramm dem eigenen Lebensmodell besser entspricht (#WorkFromAnywhere). Zum ursprünglichen Wunsch nach zeitlicher Flexibilität kommt neu nun auch noch ein geografischer dazu. Was von Mitarbeitenden so leicht gefordert wird, stellt aber Arbeitgeber vor grosse Herausforderungen. Ist man nur noch virtuell per E-Mail oder Teams erreichbar und liefert nur noch transaktional Arbeitsergebnisse ab, wird der Stellenwechsel leicht gemacht: Neuen Laptop fassen und neue E-Mail einrichten (#Söldner). Versuchen Arbeitgeber ihren Mitarbeitenden zu erklären, warum Arbeitgeber ihren Fürsorgepflichten nachkommen müssen bzw. dass mit New Work viele rechtliche Herausforderungen verbunden sind (z.B. Arbeitsbewilligung, Begründung einer Betriebsstätte oder eines Gerichtsstands, Steuerpflicht, Versicherungsschutz, Arbeitssicherheit), Arbeit auf Distanz der Karriere schaden kann (#ProximityBias) und sich so die Teamarbeit und Kultur verändert (#Kaffeeklatsch), wird das nicht überall verstanden. Vor allem dann, wenn die Mitarbeitenden dabei den direkten Blick auf die Skipiste, das Meer oder die Velohügel haben. Da braucht es echtes Leadership!

2. Personalmangel: Der Rechtsmarkt, zumindest ein Teil davon, beklagt sich regelmässig über einen Mangel an Talenten, Fachkräften und Personal im Allgemeinen (#WarForTalent). Gerade im Rechtsmarkt geht es aber weniger um den Mangel an Talenten (#Women), sondern um die unvorteilhaften Rahmenbedingungen, die die Talente nicht schätzen. Hier sind die Leader in der Pflicht, eine andere Arbeitskultur zu entwickeln, #Diversität mit allen erforderlichen Mitteln auf allen Stufen zu fördern und die umsatzrelevante #Retention auszubauen.

3. Dauerkrisenmodus: Seit zwei Jahrzehnten kommt es immer wieder zu internationalen Verwerfungen und Krisen (#Polikrise). Zusätzlich müssen Unternehmen rein lokale und branchenspezifische Herausforderungen managen. Es reicht als Leader nicht, zu erklären, dass wir in einer #VUCA-Welt leben und Veränderungen zum Alltag gehören. Es hilft auch nicht, zu wissen, dass alles komplizierter und komplexer geworden ist, weshalb jede/r Mitarbeitende eigenverantwortlich an ihrer/seiner Resilienz und Arbeitsmarktfähigkeit arbeiten muss (#LifeLongLearning) . Vielmehr stellt sich die Frage, was eine Führungskraft tun kann, um ihr/sein Team von dieser Dauerbeschallung mit negativen Nachrichten zu entlasten oder zumindest zu reduzieren. Es geht dabei vor allem um die Frage, wie man als Arbeitgeber Sicherheit und Vertrauenswürdigkeit schaffen kann (#Vertrauen). Positiv ausgedrückt geht es auch darum, dass die auf Risiken und Gefahren konditionierten Jurist:innen reflexartig nicht nur die Schattenseiten sehen, sondern als verantwortungsvolle Unternehmer auch die damit verbundenen neuen Chancen erkennen und ergreifen (#Entrepreneurship, #RisikobasierterAnsatz).

4. Künstliche Intelligenz: Apropos Verunsicherung: Das Thema Digitalisierung muss angesichts der neuen Entwicklungen bereits wieder als «kalter Kaffee» verstanden werden. Seit dem 30. November 2022 (#OpenAI, #ChatGPT) haben insbesondere Wissensarbeiter wie Anwälte realisiert, dass sich ihre Raison d’être schon bald verändern könnte. Ganz besonders sind hier die Leader wieder in vielerlei Hinsicht gefordert, sich Gedanken über ihre Zukunft und jene ihrer Mitarbeitenden zu machen. Das betrifft Fragen nach der strategischen Positionierung im Markt (#ALSP), dem Geschäftsmodell (#Stundenhonorar) und dem Dauerbrenner Datensicherheit (#CyberSecurity). Dass mit diesen Themen auch neue Beratungsfelder erschlossen werden können, muss nicht explizit erwähnt werden.

5. Veränderungen (#ChangeManagement) brauchen besonders Leader. Sie sind es, die Veränderungen anstossen, die Mitarbeitenden dafür gewinnen und die Anpassung so lange vorantreiben müssen, bis das Ziel erreicht ist (#Durchhaltewillen), ohne auf dem Weg die Mitarbeitenden zu verlieren.

6. Vorbildfunktion: Schliesslich müssen Leader als Vorbilder wirken und überzeugen (#Glaubwürdigkeit, #Werte, #Vertrauen). Ohne Leidenschaft für die eigene Sache wird man kaum ein guter Leader sein (#Passion). Kann die eigene Begeisterung geteilt werden, kann das ganze Team auf die gemeinsame Reise ausgerichtet und «eingeschworen» werden (#Purpose, #Nachhaltigkeit, #OneFirm).

Die Arbeit an den oben genannten Punkten kann zeitaufwendig und emotional anstrengend sein. Sie wird vielleicht auch keinen direkt nachweisbaren Zusammenhang aufzeigen können. Dennoch ist sie für die erfolgreiche Führung eines Unternehmens und seiner Mitarbeiter:innen von enormer Bedeutung und Relevanz. Viel Erfolg!

Über die Autorin / den Autor
Prof. Dr. Bruno Mascello Akademischer Direktor Law & Management der Executive School of Management, Technology and Law der Universität von St.Gallen, Direktor des Executive Weiterbildungsprogramms für Juristen “Management for the Legal Profession (MLP-HSG)”, Rechtsanwalt, Dozent und Autor zu verschiedenen Fragen an der Schnittstelle von Recht und Management.