25. März 2024

Brauchen junge Jurist:innen auch Leadership?

In einer Welt, die sich ständig verändert, hat auch die Art und Weise, wie wir Generationen betrachten und einordnen, einen besonderen Stellenwert erhalten. Die Unterteilung in Generationsabschnitte, obgleich manchmal als willkürlich empfunden, bietet eine nützliche Basis, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten innerhalb verschiedener Altersgruppen zu verstehen.

Einteilung nach Generationen – etwas willkürlich, aber nützlich

Wir denken heute gerne in Generationsabschnitten von etwa 15 Jahren (Baby Boo-mer mit Geburtsjahren 1945-1960, Generation X 1961-1980, Y/Millennials 1981-1995, Z 1996-2010 und neu Alpha 2011-2025). Jeder Generation werden spezielle Eigenschaften und Charaktere zugewiesen. Solche Stereotype dienen der vereinfachten Einordnung und Verständnisbildung. Man muss sich dabei aber stets auch vergegenwärtigen, dass jedes Individuum trotzdem eigenständig zu betrachten ist. Wenn ich hier über junge Personen im Arbeitsleben schreibe, konzentriere ich mich auf die beiden Generationen Y und Z. Und was gilt nun für diese zwei Generationen in Bezug auf deren Führung?
Den jungen Generationen wird im Allgemeinen zugeschrieben, dass sie keinen Wert auf Hierarchie legen und vielmehr darauf aspirieren selbst Chef zu werden und deshalb schnelle Aufstiegsmöglichkeiten schätzen. Wichtig ist ihnen auch eine kollaborative Arbeitsweise und Kultur, grosse Flexibilität in jeglicher Hinsicht (z.B. Arbeitszeiten, Wahl des Arbeitgebers), keine feste Bürostrukturen (z.B. Homeoffice oder gar work from anywhere) und entsprechend eine Präferenz für digitale Ar-beitsweisen.

Können Juristen mit Katzen verglichen werden?

Jurist:innen zeichnen sich in der Regel (Achtung: Stereotyp) dadurch aus, dass sie im Vergleich mit der Allgemeinheit eine höhere Präferenz für autonomes und unabhängiges Arbeiten aufweisen und weniger gut Kritik akzeptieren können (Stichwort: #Resilienz) bzw. gar defensiv auf negatives Feedback reagieren. «In other words, it’s common for lawyers to resist being managed, to bridle at being told what to do, and to prize their independence.” (Larry Richards, Herding Cats: The Lawyer Personality Revealed, 1998). Oder anders ausgedrückt: Juristen wollen nicht geführt werden und eigenverantwortlich arbeiten. Das findet sich auch in den Schweizerischen Standesregeln zum Thema Unabhängigkeit (Art 3 Abs. 1 und 2): «Anwältinnen und Anwälte üben ihre berufliche Tätigkeit in Unabhängigkeit und in eigener disziplinarischer Verantwortung aus. Die Unabhängigkeit setzt voraus, dass sich die Anwältinnen und Anwälte in der Ausübung ihres Berufs keinen Einflüssen von Dritten aussetzen, die ihrerseits nicht der berufsrechtlichen Aufsicht unterstehen.» Der letzte kleine Zusatz erlaubt es zumindest, dass Vorgesetzte, soweit sie auch Anwält:innen sind, durchaus Einfluss nehmen dürfen auf ihre angestellten Anwälte. Leadership wäre also nicht verboten.

Und nun beides kombiniert: Wie führt man (a) junge (b) Jurist:innen?

Jede der beiden vorgenannten Perspektiven bietet für Führungskräfte eine nicht zu unterschätzende Herausforderung. Wenn man aber beide miteinander kombiniert, verlangt das von ihnen noch viel mehr Fingerspitzengefühl. Deshalb soll hier noch eine gute Nachricht nachgereicht werden. Zwanzig Jahre nach der Studie von Larry Richards (vgl. oben) hat die Bucerius Law School ihre Studierenden und Alumni im Alter von 18-38 Jahren befragt und wollte überprüfen, ob die damaligen Ergebnisse reproduzierbar sind. Es zeigte sich betreffend dem Persönlichkeitsmerkmal Unabhängigkeit, dass dies nicht der Fall war. Diese Teilnehmenden strebten weniger Autonomie an, arbeiteten gerne in Organisationen mit definierten Zielen, und waren vielmehr Teamplayer und Rudeltiere. (Emma Ziercke/Markus Hartung, Sind Anwälte wirklich Katzen?, LTO Legal Tribune Online 2018). Ob das Ergebnis aber einfach nur auf das junge Alter zurückzuführen ist und vor allem Studierende vor dem Berufseinstieg befragt wurden, kann dahingestellt bleiben.

On top als dritte Dimension: die veränderten Rahmenbedingungen

Wenn Sie glauben, dass zwei Dimensionen schon kompliziert genug sind, färben Sie das Ganze noch mit einer dritten ein. Denn die (Arbeits-)welt ist seit 2020 nicht mehr dieselbe – auch nicht für die Rechtsbranche. Zuerst sind die Mitarbeitenden nach Hause geschickt worden. Dann haben sie sich an die Arbeit und die neuen Freiheiten im Homeoffice gewöhnt. Und nun beordern sie die Unternehmen – manchmal gar unter Androhung der Kündigung – wieder zurück ins Büro. Das bisherige Ergebnis ist ein gut schweizerischer Kompromiss: Gewährung von 1-2 Tagen Homeoffice.

Ferner kommt heute kein Unternehmen mehr am Thema Nachhaltigkeit mehr vor-bei. Und da denke ich nicht an die gesetzlichen Vorschriften, sondern mehr an die praktische Umsetzung. So gehören die Pendelkosten der Mitarbeitenden regelmässig zu den grössten Verursachern des CO2-Fussabdrucks eines Unternehmens. Man sollte die Mitarbeitenden also wenn möglich doch mehr im Homeoffice arbeiten lassen. Schliesslich behaupten die Mitarbeitenden mit einer untergeordneten Präferenz fürs Büro, dass Homeoffice gar ihr Wohlbefinden und damit ihre Produktivität steigere. Im Homeoffice kann das Unternehmen aber seinen Fürsorgepflichten nicht nachkommen (#Einsamkeit, #Wissenstransfer), das «S» in ESG. Was also tun, ohne die Kündigung der Mitarbeitenden zu riskieren? Wenn man zu viel Druck auf sie ausübt, kündigen die Mitarbeitenden, weil sie wegen dem angespannten Arbeitsmarkt schnell wieder eine andere Stelle finden (#Fachkräftemangel). Und wenn man das Thema Nachhaltigkeit nicht ernst nimmt, gewinnt man keine neuen Mitarbeiter bzw. die bestehenden kündigen, weil sie sich nicht (mehr) mit dem Arbeitgeber identifizieren können (#Climate Quitting). Um Missverständnisse zu vermeiden: Das Vorgenannte gilt natürlich auch für die eigentlichen Führungskräfte, die ebenso eigene Bedürfnisse und Ansprüche haben. Eine nicht ganz einfache Situation für verantwortungsvolle Unternehmen und Manager (#VUCA).

Was ist nun also zu tun?

Manager stehen heute vor der Herausforderung, dass gleichzeitig vier bis fünf Generationen im Unternehmen arbeiten und richtig geführt werden wollen. Alle haben konkrete Vorstellungen, wie sie fachlich, persönlich, zeitlich und örtlich geführt und motiviert werden wollen. So will beispielsweise ein Baby Boomer im Büro anders geführt sein als ein Millennial im Homeoffice via Zoom. Unternehmen können auch nicht selektiv nur auf ein Ziel setzen, d.h. sich auf den wirtschaftlichen Erfolg, Umweltaspekte oder Soziales konzentrieren, sondern müssen alle Bälle gleichzeitig in der Luft halten.

Das verlangt von Managern einen hohen Grad an Flexibilität und einen transformationalen Führungsstil, empathische Führungskompetenz und nicht zuletzt auch viel Widerstandskraft (#Resilienz). Unmittelbar gelebte zwischenmenschliche Beziehungen bleiben für Menschen trotz aller technischen Errungenschaften weiterhin zentral (#Höhlenmenschen), weshalb hier auch das typische Führungsverhalten anschlägt (#Vertrauen). Die technischen und Umweltveränderungen lassen sich nicht aufhalten oder zurückdrehen. Es braucht auch einen grösseren Fokus auf Output und Produktivität, statt sich weiterhin am Input und der Präsenzzeit im Büro zu orientieren (vgl. Analogie zu Stundenhonorar-Geschäftsmodellen). Vieles gehört heute einfach zu den veränderten oder neuen Werten und Rahmenbedingungen des Arbeitens. Unternehmen und ihre Führungskräfte tun gut daran, sich proaktiv darauf einzustellen.

Brauchen nun junge Anwält:innen auch Führung im Berufsleben? Ja, denn sie sind wie die früheren Generationen zuvor auch noch nicht komplett ausgebildet. Nur die Art und Weise der Führung wird sich an neue Gegebenheiten und Bedürfnisse anpassen müssen, wenn man die jungen Generationen für sich gewinnen und behalten will.

Über die Autorin / den Autor
Prof. Dr. Bruno Mascello Akademischer Direktor Law & Management der Executive School of Management, Technology and Law der Universität von St.Gallen, Direktor des Executive Weiterbildungsprogramms für Juristen “Management for the Legal Profession (MLP-HSG)”, Rechtsanwalt, Dozent und Autor zu verschiedenen Fragen an der Schnittstelle von Recht und Management.