Regelmässig lesen wir, dass FinTech die Finanzbranche umwälzt, BioTech die Medizin verändert und RegTech die Wirtschaftsprüfung und die Einhaltung gesetzlicher Auflagen umformt. Seltener hören wir jedoch, dass LegalTech im juristischen Bereich einen Umbruch mit sich bringt. Dies dürfte sich indes mindestens in einigen Bereichen bald ändern. LegalTech Experte Gerard Neiditsch der Executive School der Universität St.Gallen erläutert im Interview, welche Entwicklungen er auf dem Schweizer Rechtsmarkt erwartet.

Verändert LegalTech die Rechtsdienstleistungen?

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Gérard Neiditsch, wer ist von LegalTech zuerst betroffen?

Vorderhand von der Digitalisierung von Rechtsdienstleistungen betroffen sind Anwaltskanzleien, die sich mit grossen Transaktionen befassen, z.B. mit dem Verkauf oder Kauf von Vermögenswerten wie Gesellschaften oder kommerziellen Anlangen und Grundstücken. Die Umgestaltung dieser als Due Diligence und – und im Streitfall – als Discovery bekannten Prozesse ist bereits im Gang. Grössere Änderungsmöglichkeiten ergeben sich auch aus der Verwaltung umfangreicher Portefeuilles von ähnlichen Rechtsdokumenten, beispielsweise von Schutzrechten wie Markenzeichen und Patenten, von Mietverträgen oder komplexen Gesellschaftsstrukturen. Der Bereich der E-Discovery bei umfangreichen Rechtstreiten und Untersuchungen verändert sich zur Zeit ebenfalls rasant. Hier ermöglicht LegalTech schnell und mit vorhersehbaren Kosten, eine oder mehrere ‘Nadeln im Heuhaufen’ zu finden. Das höchst rentable LegalTech-Segment für E-Discovery/Untersuchungen und Due Diligence erwirtschaftet rund 70% des weltweiten LegalTech-Umsatzes und -gewinns. Es ist auch das Rechtsgebiet, das am meisten durch die Grundsätze des angelsächsischen Common Law bestimmt wird, jedoch weltweit zur Anwendung kommt, auch in Ländern mit einer Zivilrechtsordnung.

 

Dazu kommt, dass der gesamte Prozess um die Vertragsautomatisierung, -ausarbeitung, -verhandlung, -zusammenarbeit, -verwaltung und -erneuerung den Sektor ebenfalls umzupflügen begonnen hat. Dies wird als Vertragslebenszyklusmanagement bezeichnet und findet global Anwendung, also auch in der Schweiz und der EU. Es beinhaltet auch Aspekte der Blockchain-Technologie, wo es um den Authentizitätsnachweis von Dokumenten geht.

Welche Akteure sind in diesem Prozess betroffen?

Traditionell handelt es sich dabei um drei Teilnehmer, nämlich interne Rechtsabteilungen – also die Kunden, kommerzielle Anwaltskanzleien und die Gerichte. Gegenwärtig und künftig ist mit einer grösseren Vielfalt von weiteren Akteuren zu rechnen. Hier finden wir beispielsweise:

  • Vermittler vorübergehender Arbeitseinsätze wie z.B. LOD (Lawyers On Demand) oder Axiom;
  • LegalTechs für die Verwaltung von intellektuellen Schutzrechten mit einer Kombination von Dienstleistungen und Plattformen;
  • Plattformen für das juristische Projektmanagement, die internen Rechtsabteilungen Dienstleistungen und Technologie für die wettbewerbsfähige Vergabe und die Überwachung umfangreicher Transaktionen bieten;
  • LegalTech-Anbieter für spezialisiertes E-Billing und Rechnungsanalyse zur Kontrolle von Kanzleirechnungen und zur Sicherstellung, dass diese den im Voraus vereinbarten Regeln entsprechen;
  • Transaktionsplattformen mit Möglichkeiten zur sicheren Freigabe von Dokumenten in sogenannten Datenräumen und zur Steuerung des strukturierten «Frage-und-Antwort»-Prozesses, der regelmässig Bestandteil eines wettbewerbsfähigen Verkaufs eines Vermögenswertes ist.
  • Die rasant wachsenden Rechtsbereiche der Big4, die sich zunehmend in vielen dieser Bereiche engagieren, indem sie mit LegalTech-Plattformen Partnerschaften eingehen und in Koopkurrenz mit kommerziellen Anwaltskanzleien eine Kombination von Projektmanagement, Beratungs- und Rechtsdienstleistungen anbieten.
  • Sogar die grössten Gerichtssysteme haben begonnen, ihre Dienstleistungen zu digitalisieren. Das Vereinigte Königreich z.B. ist derzeit daran, sämtliche Gerichte auf einer digitalen Plattform zusammen zu bringen. Dasselbe gilt für China, Neuseeland und einige EU-Staaten.

 

Wird sich LegalTech in der Schweiz durchsetzen?

Anwaltskanzleien – und bis zu einem gewissen Grad auch interne Rechtsabteilungen – sind dafür bekannt, dass sie schnell auf einen Zug aufsteigen, sobald sich eine neue Technologie bei einem Konkurrenten oder Kunden etabliert.  Eher selten nehmen sie selbst eine Führungsrolle ein. Dies scheint auf Märkte wie die Schweiz, Deutschland und Österreich besonders zuzutreffen, wo die Nachfrage am oberen Ende des ‘B2B’-Marktes nach wie vor grösser ist als das Angebot. Die Notwendigkeit des Wandels wird erst jetzt gerade offenkundig, weil internationale Unternehmen anderswo digitalisierte Rechtsdienstleistungen in Anspruch genommen haben und ihre örtlichen Anbieter dazu drängen, sich der globalen Entwicklung anzuschliessen.

 

Wie können sich kommerzielle Kanzleien und interne Rechtsabteilungen auf die Digitalisierung vorbereiten?

Die zögerliche Einführung von LegalTech in der Schweiz und in Deutschland ist teilweise darauf zurückzuführen, dass das Gerichts- und Regulierungsumfeld anderen Ländern hinterherhinkt. Die Schweizer Regulierungsbehörden beispielsweise kommen erst jetzt mit einigen «Grundlagen der Digitalisierung» wie z.B. der elektronische Identität, der elektronischen Unterschrift, der Verwendung von Cloud-Technologien im Allgemeinen und der Software als Dienstleistung im Besonderen zurecht. Dies hat schweizerische LegalTech-Startups im Vergleich mit dem Vereinigten Königreich, den Benelux-Ländern, Australien, den USA und Skandinavien erheblich benachteiligt.

 

Wie kann LegalTech implementiert werden?

Lernen von sachverständigen Praktikern ist eine der effektvollsten Möglichkeiten für den Einstieg in LegalTech. Praktiker vermitteln, was zur erfolgreichen Transformation des Geschäfts nebst der Technologie zusätzlich benötigt wird. Die Executive School der Universität St.Gallen z.B. bietet einen «Fit 4 LegalTech»-Kurs an, an dem die Teilnehmer von erfahrenen LegalTech-Leadern aus Kanzleien und internen Rechtsabteilungen lernen können. «Fit 4 LegalTech» ist ein neues Weiterbildungsangebot, das 2019 zum ersten Mal online oder durch eine Teilnahme vor Ort angeboten wurde. Ein weiterer wirkungsvoller Einstieg in ein LegalTech-Projekt ist die Teilnahme an den Swiss, European unf International Legal Tech Associations, SLTA, ELTA und ILT. Alle bieten ausgezeichnete Konferenzen, Treffen und andere Veranstaltungen an.

 

Worin bestehen die Zukunftsaussichten?

Deutsche, österreichische und schweizerische Anwaltskanzleien, Regulierungsbehörden und Gerichte haben eine gute Chance, die anscheinend «verlorene Zeit» wiedergutzumachen, indem sie ihren Betrieb mit Hilfe von LegalTech umgestalten. Viele innovative Rechtsabteilungen weisen die Richtung, in der DACH-Region und anderswo. Wir werden alles daransetzen, einen Beitrag an einen lebhaften, fundierten, praktischen und konstruktiven Dialog zu leisten, um den erfolgreichen Übergang der LegalTech-Branche in der Geschäftswelt zu fördern.

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