Manfred Finken, bis zum altersbedingten Ausscheiden Partner bei und Regional Managing Partner von Freshfields Bruckhaus Deringer für die Region Deutschland, Österreich und Ost-Mitteleuropa. Das Interview führte Dr. Bruno Mascello, LL.M., Rechtsanwalt, Vizedirektor an der Executive School of Management, Technology and Law (ES-HSG) der Universität St. Gallen.

Rolle von Grosskanzleien und Herausforderungen

Sehr geehrter Herr Finken

Ich danke Ihnen für die Gelegenheit, Sie bei uns zu haben. Wir schätzen es sehr, dass Sie mit uns ein paar Ihrer Erfahrungen und Einschätzungen zum Anwaltsberuf teilen.

Bruno Mascello: Wie erleben Sie heute das Zusammenspiel zwischen externen Anwälten und den In-house Counsel eines Unternehmens?

Manfred Finken: Die Rolle von In-house Counsel in den Unternehmen hat in den letzten Jahren deutlich an Profil und  Bedeutung gewonnen. Galten In-house Counsel früher für manche Kaufleute und Techniker als „Bedenkenträger“ (im Sinne von „Geschäftsverhinderer“), so hat das völlig veränderte rechtliche und wirtschaftliche Umfeld – mehr Regulierung, professionelle Corporate Governance, gestiegene Compliance Anforderungen auf allen Ebenen) – zu einer deutlichen Aufwertung des Inhouse Counsel geführt. Das geht einher mit einem gestiegenen Selbstbewusstsein. Dieser Zuwachs in der Funktion und in der unternehmensinternen Bedeutung hat unmittelbare Auswirkungen auf die Mandatsbeziehungen zwischen Anwaltskanzleien und den Unternehmen. Bei großen Transaktionen sieht sich der In-house Counsel heute häufig als der Projektsteuerer, der die Tätigkeit der externen Anwälte koordiniert und lenkt (Stichwort: Who is in the driver´s seat?). Auf den Punkt gebracht: Die Beziehungen zwischen Unternehmen, repräsentiert durch ihre In-house Counsel, und ihren Anwälten sind stärker professionalisiert und kommerzialisiert. Die marktwirtschaftlichen Regeln von Angebot und Nachfrage haben die früher dominierende emotionale Bindung („Das ist „unser“ Anwalt“.) ein Stück weit zurückgedrängt. Die Folgen: Eine wesentlich stärkere Bereitschaft zum Wechsel des Rechtsberaters und keine exklusiven Bindungen mehr.

Wie wirkt sich dieses neue Verständnis auf die finanzielle Seite aus?

Erhebliche Auswirkungen auf das Mandatsverhältnis hat das signifikant gestiegene Kostenbewusstsein: Der In-house Counsel trägt gegenüber der Geschäftsleitung die Budgetverantwortung. Er muss darauf achten, dass die Rechtsberatungskosten für ein bestimmtes Projekt und generell für die Einschaltung externer Anwälte den internen (häufig unter Sparzwängen gekürzten) Budgetvorgaben entsprechen. Das hat zur Folge, dass nur noch bestimmte Anwaltsfirmen, die es zuvor in einem Beauty Contest auf das Panel geschafft haben, überhaupt mandatiert werden. Selbst unter den „gelisteten“ Anwaltsfirmen werden dann häufig Mandate noch ausgeschrieben, wobei der Preis (Honorar) eine immer größere Rolle spielt. Der ohnehin beinharte Wettbewerb zwischen den Kanzleien um lukrative Mandate wird dadurch noch schärfer.

Haben diese Veränderungen konkrete Folgen für Grosskanzleien?

Durch das als Folge der Krise in Europa spürbar geschrumpfte Transaktionsgeschäft haben wir in weiten Bereichen des Rechtsberatungsmarktes einen Käufermarkt, was die Unternehmen als Nachfrager von Rechtsberatungsdienstleistungen und damit auch die In-house Counsel gegenüber den Kanzleien in eine sehr viel stärkere Position bringt als zu Boomzeiten des M&A Geschäftes. Für die Grosskanzleien macht sich zusätzlich ein Trend bemerkbar, grosse Mandate in Teilbereiche aufzuteilen und nur noch die Teile an die als relativ „teuer“ empfundenen Grosskanzleien zu geben, die weder intern noch extern von anderen (d.h. kleineren Kanzleien) vernünftig bearbeitet werden können. Dadurch kommt das „one shop stop“ Geschäftsmodell unter Druck. Allerdings halte ich es für zweifelhaft, ob diese Form der Mandatsaufteilung sich am Ende wirklich durch entsprechende Effizienzgewinne und Kosteneinsparungen für die Mandanten auszahlt.

Wo sehen Sie grosse Herausforderungen für die klassischen internationalen Kanzleien?

Ein Thema, das mich sehr beschäftigt, ist die Frage, ob langfristig die grossen Kanzleien als traditionelle, lebenslange (bezogen auf das Berufsleben) Partnerschaften organisiert bleiben. Oder um es zugespitzt zu formulieren: Ist die traditionelle Partnerschaft für Großkanzleien ein Auslaufmodell? Weder die großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften („Big Four“) noch die Investmentbanken noch die Unternehmensberater sind heute noch als „echte“ Partnerschaften mit entsprechenden Teilhaberechten des Einzelnen organisiert. Zudem wird die lebenslange Bindung an eine einzige Partnerschaft in der Praxis zunehmend in Frage gestellt. Der Zwang, die Strukturen immer wieder den veränderten Rahmenbedingungen anzupassen, und der dadurch entstehende permanente Veränderungsdruck stellen das herkömmliche Partnerschaftsmodell vor enorme Schwierigkeiten.

Welche Veränderungen haben Sie in den Anforderungen festgestellt, welche heute eine Anwaltskanzlei an seine Mitarbeiter stellt und welche Eigenschaften sind bei Anwälten wichtig(er) geworden?

Unzweifelhaft muss ein guter Wirtschaftsanwalt nicht nur ein hervorragender Jurist sein – das ohnehin –, sondern ein tiefes Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge im Allgemeinen, für interne Entscheidungsabläufe in den Unternehmen und für das Geschäft des jeweiligen Mandanten im Besonderen haben. Und hier liegen aufgrund der justizförmigen Ausbildung in Deutschland – Ausbildungsziel an den Rechtsfakultäten der Universitäten und im Referendariat ist die „Befähigung zum Richteramt“ – die grössten Defizite. Kanzleien wie Freshfields kompensieren das durch „training on the job“ und gezielte Fortbildung (u.a mit Hilfe der HSG). Daneben spielen andere Faktoren heute eine deutlich wichtigere Rolle als noch vor 10 Jahren. Ich nenne als Beispiele die Fähigkeit, einen komplexen Sachverhalt in Präsentationsform darzustellen, Verhandlungsführung, Projektmanagement und Kostenbewusstsein. Verallgemeinernd kann man sagen, die nichtjuristischen Fähigkeiten und das unternehmerische Denken haben erheblich an Gewicht gewonnen.

„What turns you off“ in der Zusammenarbeit mit Kunden?

Nach so vielen Berufsjahren relativ wenig. Ich bin „abgehärtet“. Was ich nicht mag, sind Mandanten, die höchsten Einsatz, grösste Schnelligkeit und äusserste Präzision erwarten, dann aber beim Honorar sich sehr viel Zeit lassen, selbst anerkannte Rechnungen zu bezahlen. Ich will nicht unfreiwillig einen zinslosen Kredit über Monate geben müssen. Der Mandant würde sich ein solches Verhalten von seinen Kunden nicht bieten lassen.

Welche Trends sollten Rechtsdienstleister (General Counsel und/oder externe Anwälte) in den nächsten Jahren auf ihren Radar nehmen? Welche Strategien empfehlen Sie hierfür?

Die Krise hinterlässt deutliche Spuren in den betroffenen Volkswirtschaften und global. Die Unternehmen halten das Geld lieber zusammen und bauen Schulden ab, als zu investieren, vor allem in Form von Akquisitionen. Das alles wirkt sich unmittelbar auf das Geschäft der grossen Wirtschaftskanzleien aus. Das so wichtige Transaktionsgeschäft ist deutlich geschrumpft und wird nach meiner Einschätzung in den nächsten Jahren auch nicht wieder das Vorkrisenniveau erreichen. Andere Bereiche wie Compliance, Haftungsfragen, Restrukturierung und Litigation (einschliesslich Schiedsgerichtsbarkeit) haben zugelegt. Die grosse Frage wird sein, ob diese Wachstumsfelder den Verlust an lukrativem M&A Geschäft und den Preisdruck ausgleichen können. Wenn nicht, hat das zwangsläufig Auswirkungen auf das Wachstum und die Strukturen der Kanzleien. Anpassungen, wie sie bei Mandanten auf der Tagesordnung stehen, könnten dann auch für Kanzleien eine denkbare Option sein, um einem Rückgang der Profitabilität entgegenzuwirken. Für internationale Kanzleien liegt eine große Chance darin, vom Wachstum außerhalb Europas in den Emerging Markets zu profitieren. Speziell für deutsche Kanzleien, aber auch für General Counsel deutscher Unternehmen, wird die Deckung des Personalbedarfs in Zukunft immer schwieriger. Die Demografie in Deutschland führt zu einer geringer werdenden Zahl von hochqualifizierten Absolventen. Der Wandel in der Einstellung zum Stellenwert der Arbeit („work life balance“) verschärft dieses Problem noch. Die Besten zu rekrutieren und zu halten („war for talent“) ist schon jetzt eine der grössten Herausforderungen. Das wird noch weiter zunehmen, je stärker sich der demografische Wandel in Deutschland auswirkt. Deshalb müssen die Rekrutierungsbemühungen um Bewerber intensiviert werden, die bisher in den Kanzleien und nach meinem Eindruck auch in den Unternehmen unterrepräsentiert sind: Frauen und Bewerber mit Migrationshintergrund.

Gibt es eine Geschichte, aus welcher Sie als Anwalt etwas Besonderes gelernt haben?

Eine nette Geschichte fällt mir ein, die meines Erachtens zeigt, dass man als Anwalt in Honorarfragen mehr Kreativität an den Tag legen sollte: Als junger Partner betreute ich einen kleineren Unternehmenskauf für den Verkäufer und Inhaber eines mittelständischen Unternehmens. Das Unternehmen sollte rückwirkend zum Jahresbeginn verkauft werden, die Transaktion als solche fand im Frühjahr statt. Ich konnte in den Verhandlungen durchsetzen, dass zum Ausgleich für den vollen Gewinnbezug des Käufers der Kaufpreis ab Beginn des Jahres, also rückwirkend verzinst wurde. Damals war eine Hochzinsphase. Nach erfolgreichem Abschluss des Verkaufs hatte ich in Sachen Honorar folgenden Einfall: Der Mandant sollte mir den Betrag zahlen, den er als Zins für 30 Tage auf den erhaltenen Kaufpreis bei einer entsprechenden Anlage als Festgeld erhielt. Die Anwaltsrechnung sollte auch erst nach Ablauf des „Zinsmonats“ fällig werden. Der Mandant war zunächst „sprachlos“, als ich ihm diesen Vorschlag in einem Telefonat unterbreitete. Nach kurzem Überlegen willigte er lachend ein („Super Idee!“) und zahlte das Honorar tatsächlich nach einem Monat. Bezogen auf den Zeitaufwand hatte ich eine kräftige Prämie erhalten und der Mandant war nicht verärgert.

Wie schätzen Sie die Kompetenz von externen Anwälten in Managementfragen ein?

Managementfragen (bei Mandanten) sind für Anwälte eine schwieriges Feld, weil sie aufgrund ihrer eigenen beruflichen Sozialisation als Freiberufler bzw. angestellte Anwälte in Kanzleien zunächst kaum über eigene Managementerfahrungen verfügen. Sie müssen sich durch ihre berufliche Tätigkeit diese Kenntnisse über einen längeren Zeitraum aneignen. Auf der anderen Seite haben erfahrene (Senior-)Wirtschaftsanwälte den Vorteil, dass sie als externe Berater ohne Scheuklappen („Betriebsblindheit“) und frei von eigenen Karriereinteressen („wie säge ich meinen schärfsten internen Konkurrenten ab“ bzw. „wer will mich absägen“) an Probleme herangehen können. Ein grosser Vorteil ist auch die durch die juristische Ausbildung erworbene Fähigkeit, komplexe Strukturen klar zu analysieren und die entscheidungsrelevanten Parameter verständlich herauszuarbeiten. Was die eigenen Managementfähigkeiten von Anwälten betrifft (z.B. in der Führung der Kanzlei), so sind meine Erfahrungen als früherer Managing Partner eher „durchwachsen“. Die meisten Partner haben daran kein Interesse und sind in eigenen Angelegenheiten der Kanzlei oft zu konfliktscheu, um harte Entscheidungen durchzusetzen. Ausserdem liegt zwischen dem Berater, der Empfehlungen gibt, und demjenigen, der verantwortlich die Entscheidungen trifft, schon mental ein großer Unterschied.

Wie bzw. wo tanken Sie Ihre Batterien auf?

Ich lese viel, treibe Sport (wahrscheinlich nicht genug) und versuche, die Freizeit auch wirklich frei zu halten. So nehme ich beispielsweise nur sehr selten Akten aus dem Büro mit nach Hause, um sie dort zu bearbeiten. Berufliche und private Sphäre versuche ich, strikt zu trennen. Als ausgeschiedener Partner, der im „Teilruhestand“ ist, habe ich jetzt ohnehin mehr Zeit für mich selbst und meine Familie.

Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Zeit und die spannenden Gedanken, die Sie mit uns geteilt haben!

03/2013

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