Dr. Beat Hess, LL.M., Rechtsanwalt, war ehemaliger Group Legal Director and Member of the Group Executive Committee of Royal Dutch Shell plc (The Netherlands) sowie ehemaliger General Counsel and Secretary of ABB Ltd and BBC Ltd (Switzerland). Das Interview führte Dr. Bruno Mascello, LL.M., Rechtsanwalt, Vizedirektor an der Executive School of Management, Technology and Law (ES-HSG) der Universität St. Gallen.

Veränderung der Rolle des General Counsel

Sehr geehrter Herr Hess

Wir danken Ihnen für die Gelegenheit, Sie bei uns zu haben. Wir schätzen es sehr, dass Sie mit uns ein paar Ihrer Erfahrungen und Einschätzungen zum Beruf des In-house Counsel teilen.

Bruno Mascello: Finanzielle Herausforderungen zu meistern gehört für einen General Counsel zum Tagesgeschäft. Was hat sich diesbezüglich verändert?

Beat Hess: In den letzten Jahren hat die Kostenfrage für Rechtsabteilung eine überdurchschnittlich hohe Rolle gespielt. Das haben auch externe Anwälte gespürt, wurde dieser Druck ja oft in der einen oder anderen Form weitergegeben. Was sich aber heute zu ändern scheint, ist, dass viel klarer unterschieden wird, was intern erledigt und was extern vergeben wird. An externe Anwälte weiter gegebene Aufträge sollen nicht auch noch intern bearbeitet werden und unnötige Überlappungen werden vermieden. Schliesslich hat man gemerkt, dass insbesondere eine schlechte Instruktion der externen Anwälte die Kosten stark erhöht haben. Mit dem richtigen Management externer Anwälte kann also sehr viel Geld gespart werden.

Welche Themen werden einen General Counsel in Zukunft mehr beschäftigen?

Ich erwarte, dass u.a. folgende Themen an Gewicht gewinnen werden: Regulierung, Umweltschutz, Kommunikation (v.a. Disclosure), Compliance und Corporate Governance und Social Media. Für Industrieunternehmen wird die zu bewältigende Komplexität von Grossprojekten zur Herausforderung werden. Und in Europa wird sich der Druck grenzüberschreitender Gesetzesanwendungen erhöhen. Die Gefahr, zu Hause am Hauptsitz für durch Tochtergesellschaften im Ausland angerichtete Schäden verklagt zu werden, nimmt immer mehr zu, wie auch Sammelklagen. Schliesslich werden Themen um die Technologie und der Schutz von Immaterialgüterrechten wieder wichtiger werden.

Wie hat sich die Bedeutung der Rechtsfunktion über die letzten Jahre verändert?

Man kann generell, aber vor allem bei grösseren und international tätigen Unternehmen, feststellen, dass die Bedeutung der Rechtsfunktion enorm gewachsen ist und eine grosse Aufwertung erfahren hat. Früher kriegte die Rechtsabteilung die wenigen Dossiers von der Kommerzabteilung, dem Verkauf, der Finanzabteilung und eventuell sogar einmal vom Verwaltungsrat. Der Auftrag lag darin, kurz reinzuschauen und bloss nicht zu viel zu korrigieren. Später wurden Juristen zwar an den Verhandlungstisch mitgenommen, sie sollten aber nur nach spezieller Aufforderung etwas sagen, und auch dann nur, wenn es nötig war. Die letzten zehn Jahre werden geschäftsorientiert denkende und handelnde Juristen als vollwertige Teammitglieder geschätzt und sind nicht mehr wegzudenken, insbesondere wenn es um grosse Transaktionen geht.

Wie sieht heute die Rolle des General Counsel im Unternehmen aus?

Auch hier hat sich eine starke Veränderung gezeigt. Die Verantwortung der Leitungsgremien eines Unternehmens nimmt stetig zu und sie werden vermehrt öffentlich exponiert. Der General Counsel hat sich heute deshalb massgeblich um die Anliegen der Konzernleitung und des Verwaltungsrats zu kümmern. Entsprechend wird die Zusammenarbeit des General Counsel mit dem Topmanagement zunehmen und er wird auch vermehrt in der Konzernleitung bzw. im Verwaltungsrat Einsitz nehmen bzw. zumindest bei den Sitzungen ständig dabei sein. Und dieser Trend wird zunehmen, weil man generell risikobewusster wird.

Was raten Sie heute einem General Counsel?

Aufgrund der veränderten Erwartungen und auch der Positionierung im Unternehmen empfehle ich einem General Counsel generell wieder langfristig(er) und in verschiedenen Szenarien zu denken. Dies ist insbesondere wichtig, wenn er die Konzernleitung und den Verwaltungsrat berät, welche zum Teil bis zu 50 Jahren in die Zukunft planen. Heute wird noch zu viel Zeit damit verwendet, mit dem Feuerlöscher rumzurennen und sich nur ums Tagesgeschäft zu kümmern, statt die grossen Probleme zu bearbeiten.

Was bedeutet das für den einzelnen In-house Counsel im Unternehmen, der ja gerade das Tagesgeschäft erledigen muss?

Die Juristen auf allen Ebenen müssen sich wieder vermehrt auf eine echte Risikoabschätzung konzentrieren. Heute findet eine „Verprozessierung“ der Wirtschaft statt, wo sich der Einzelne – zu seinem Schutz – nur noch in vorgegebenen Prozessen bewegt. Juristen könnten dauernd unzählige Punkte finden, welche es in einem Unternehmen zu ändern gibt. Der Jurist sollte aber wieder vermehrt Risiken analysieren, diese bewerten und sich dann schliesslich nur noch mit den grossen Problemen beschäftigen. Das bedingt, dass er bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Für diese Accountability kriegt er dafür Freiraum für die Arbeit und die Freiheit, Entscheide selbständig zu fällen. Hierzu braucht es natürlich die richtigen Leader, die eine solche verantwortungsbewusste Leistung unterstützen und fördern und eine vernünftige Fehlerkultur zulassen und vorleben.

Es kommt immer wieder mal vor, dass ein Jurist in die Linie wechseln will? Was meinen Sie zu einem solchen Wechsel?

Wenn Juristen den Wunsch verspüren, in die Linie zu wechseln, dann müssen sie sich bewusst sein, dass sie hierfür den „Anwaltshut“ ablegen müssen. Wenn sie Geschäftsvorgänge weiterhin nur durch die Juristenbrille betrachten, werden sie scheitern. Leider habe ich das verschiedentlich beobachten müssen.

Wenn man die Beziehung zu externen Anwälten anschaut, „what turns you off“?

Da fallen mir zwei Dinge ein. Erstens habe ich es nie besonders geschätzt, wenn externe Anwälte direkt die Linie kontaktiert und beraten haben, ohne die Rechtsabteilung zu kontaktieren bzw. zu involvieren. Zweitens habe ich es nie verstanden, wenn ich ein Anwaltsbüro beauftragen wollte, und diese dann bei mir im Büro gleich mit einem Team von fünf Anwälten aufgetaucht sind. Man sollte sich gut überlegen, welche Signale man an einen potentiellen Kunden damit schickt.

Wie laden Sie ihre Batterien auf?

Ich fahre gerne ein paar Stunden mit meinem Mountainbike – bergauf!

Habe ich vergessen, Sie was zu fragen?

Ich finde es sehr schade, dass die jungen Leute, die frisch von der Universität oder vom Anwaltspatent kommen, nur eine vage Ahnung von der Tätigkeit eines In-house Counsel haben. Ich finde es eine faszinierende Welt und kann sie nur weiterempfehlen! Es ist extrem spannend, die Rechtsfragen eines Unternehmens eng begleiten und – zu einem bestimmten Grad – auch beeinflussen zu können.

Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Zeit und die spannenden Gedanken, die Sie mit uns geteilt haben!

01/2013

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